Montag, 23. Juli 2012

you are my heroin














Ich bin auf Entzug
und Hongkong ist mein Methadon,
seit Jahren schon.

Wenn ich auf mein Zimmer komme
rufe ich dich an.
Nur um zu sagen, dass es mir gut geht.

Dann stehe ich für eine Weile am Fenster
und schaue auf die Nathan-Road,
nur um Hongkongs Lichter zu sehen.

Sie fressen den Himmel und die Nacht, denke ich dann,
und an "Der Tod des Dichters Walter Rheiner",
dieses Gemälde von Felixmüller, das du mir gezeigt hast.

„Night-eating hongkong-lights“
stand auf der ersten Postkarte an dich.
"gezeichnet: W.R."

Auf die Zweite klebe ich ein Photo
von meiner Sonnenbrille,
in der sich die Nacht spiegelt.

„Night-eating hongkong-lights“!
Die Lichter machen süchtig,
deshalb ertrage ich die Tage nicht mehr.

Von 11 bis 11 jobbe ich in einer Spielhalle, die aus der Zeit gefallen ist.
Die Menschen hier reden nicht,
und das Licht imitiert die Straßen bei Nacht.

Alle sind süchtig,
Ihre Blicke starr, auf den flackernden Bildschirmen,
ihre Hände verfärbt von den Dollarmünzen.

Wenn ich anrufe sagst du, die Nummer ist nicht vergeben.
Das sagst du schon seit Monaten,
mehr reden wir nicht.

Und dann stehe ich wieder am Fenster der Chunking-Mansions
und blicke auf Hongkong,
nur um dich zu vergessen.

Manchmal kaufe ich eine deutsche Zeitung und lese im Feuilleton über dich,
das ist immer am Nachmittag,
wenn ich auf Turkey komme, weil die Lichter fehlen.

Dann warte ich auf die Nacht
und gebe zu viele Münzen raus, weil ich nichts mehr sehe.
Die Spieler wissen das.

Um 23:03 Uhr komme ich auf die Straße
und setze meine Sonnenbrille auf.
Hongkong liebt mich und „I wear my sunglasses at night“.

Ich denke an diesen Song,
wenn ich durch die Stadt gehe, die mich nicht kennt,
aber in der ich kein Fremder bin.

I wear my sunglasses at night
und sehe die neon-grelle Stadt fließen
und bin auf einem Auge blind.

Denn hinter dem linken Brillenglas steckt ein Bild von dir.
Man kann es nicht sehen, wenn ich sie trage,
weil die Gläser verspiegelt sind.

Dass du ihn liebst, hattest du gesagt,
als du am Fenster stehst und ich gehe
und am Flughafen das Photo von dir aus meinem Reisepass fällt.

„Die von ihnen gewählte Rufnummer ist nicht vergeben“,
sagst du heute und siehst glücklich aus in den Zeitungen,
während die Münzen, die ich in das Telefon werfe, meine Finger verfärben.

Dann öffne ich das kleine Fenster meines Zimmers
und der Nachtlärm schlägt mir entgegen:
Hongkong liebt mich.

Ich setze mich auf die Sessellehne
und denke an „Chunking Express“
und, dass ich mich neu verlieben muss.

Bevor ich einschlafe, schreibe ich dir eine Postkarte
und lege sie in den Karton zu den anderen.
Dann summe ich „California dreaming“.

Vor einer Weile habe ich sie gezählt,
Tausenddreihundertachtundsechzig Karten.
“On such a winter’s day”.

Manchmal stehe ich auch am Flughafen,
mit dem Ticket in der Hand,
um hier wegzukommen.

Aber wenn ich gehe, wird mich Hongkong nicht vermissen
und bald darauf würdest du sagen:
„Die von ihnen gewählte Vorwahl ist nicht mehr vergeben“.

Da bin ich mir sicher.
Ich bin süchtig nach dir
und Hongkong ist mein Methadon.



Montag, 30. April 2012



Raumfahrer

Wir leben in den Trabantenstädten längst erloschener Metropolen,
Wo der Alltag nach trockenem Rotwein und Einsamkeit schmeckt.
Dass der Weltraum nicht weit genug ist, sagst du manchmal.
Dann nennen wir die Hunde auf der Straße Laika
Und machen unsere Kinder staunen,
Wenn wir ihnen am Bahnhof die massiven Züge nach anderswo erklären,
Als sähen wir am Horizont noch einmal die Starts in Baikonur
Mit unseren Kinderaugen.















Auf dem Heimweg machen wir am Kiosk halt
Und kaufen von der Alten am Tresen Raketeneis.
"Wenn wir auf dem Mond wären"
Sagt die Hauswand gegenüber
"Könnten wir uns beim in-die-Luft-springen länger umarmen, als hier auf der Erde!"
Die Schrift ist ausgewaschen,
Also frieren wir weiter nach der Supernova,
Wärmen uns an spärlichen Erinnerungen.

Seit wir auf dem verbrannten Gras
Hinter den ausgeblichenen Neubaublocks sitzen,
schauen wir vom Wäscheplatz in den Himmel
und suchen die Sonne.
Früher haben wir hier die Drachen und Papierflieger starten lassen
Auf denen „Juri Gagarin“ oder „Sputnik“ stand.
Dass der Monat noch lang ist,
Und das Eis eine Ausnahme, sagst Du leise.















Am Abend nehmen wir dann weiße Pillen
Gegen das Gefühl im Magen, die noch nie geholfen haben.
Raumfahrernahrung sagst du, und dass uns der Treibstoff ausgegangen ist.
Die Leuchtreklame über der Kaufhalle ist blind geworden,
Aber wenn es dunkel wird, kann man aus unserem Küchenfenster
Noch den blassblauen Lichtschein einiger Buchstaben sehen.















Manchmal denken wir dann an den Aufbruch
Und steigen an der Endhaltestelle in den Nachtbus,
Um eine Zeit lang mit dem alten Ikarus durch die leere Stadt zu fahren.
Wir kreisen im Orbit und warten auf bessere Zeiten.
Und wenn wir endlich schlafen können,
Dann träumen wir Kleinstadtkosmonauten von weit weg.




Sonntag, 12. Juni 2011

The Moonshine Dancer

With a head full of medicine
I walk the streets like the virgin moonshine
Daggering vacant hopes
With the knife of the incomparable angel
She gave it to me
Just to see that I’ll go the wrong way
What a daydream
What a terrible condition
To last whimpering in the empty gutters of my rapture
She gave it to me
With her holy guard
Who split our sea of concealment – I wish I could be like him
Tasting beauty and smelling happiness
And picking the flower that I always contemplated
She gave it to me
With her last laughter before hitting the next car
And she cried
And he was very calm
And I was upset - Silent reproach
I still can’t believe the things we experienced
Love, sadness, illuminations, dust
I’ll never be the same again
Naked like the virgin moonshine
And quiet like an explosion

              I’m dreaming different lives

In a world where thunder brings silent melodies
And harmonicas sound like the roaring destruction
I will stroll!
Permanent extending lives in a dark street
At midnight
The direction, nobody can see
But I can feel it, smell it, taste it
Between all poison and disbeliefs
There is hope!
Still, I can only heap differences
And merciful glances

             My favorite poet is still my love
             The moonshine dancer
             The part-time poison
             The sunglass child

And the last hope.


I had a dream about you last night
You danced on my palm
To the shadows of Chopin
But there is no cause for dreaming
In a parallel universe
With a parallel emotion
Slicing my reality with the knife of the incomparable angel
She gave it to me
With her heartache expression
Her unbelievable kindness
His penetrating love
My awaited fall…

             She gave it to me!
             With her soul, planted in my body
             Since we became children
             In our well-fed mess

 Odio a mi corazón!

Ignorance for these lines…
I put all my devils in it

“Convert your pride on this starry-night
To exhale the loon that you used to hide
And a dance like a fight with the moonshine bride
Will change the beginning of all ending lives”

Come my staggering queen and suspect my remembrance
Come and throw my last ace of diamonds down the rooftops
Come and let him be your innocence
So I can be your fault
Come and let him be your mistake
So I can be your part-time dawn colors
And this is enough
It is enough!

Enough for me to come through gutters
Enough for me to stop inhaling
Enough for me
Not to see the chosen one
On a cryptic night
With your short-haired  looks

 I never cared
He never took part


O moonshine sister
Cherry-lipped gloom
And starry-eyed loon
Never forget your heart, never waste your soul
Because I praise the love of the incomparable angel
Who gave it to me

The Knife!
That destroys me!
Innocence!

Hunde

Ich häufe immer weiter Sehnsucht an
auf den Parkplätzen hinter dem Container
wo wir im Wagen sitzen mit der Hand auf der Heizung
während wir den Motor laufen lassen

Im Radio läuft wieder Killing Moon
Ich trinke Rotwein aus der Flasche
Du wärmst den Gin in deinen Händen
bis wir ganz umhüllt sind von Mixtape-Melancholie

Deine Stimme riecht nach Wachholder
wenn du sagst, dass du nicht an Wiederholungen glaubst
und ich fürchte, dass die Nächte immer kürzer
und die Tage immer länger werden

Mit zugeknöpften Jacken und ausgetretenen Schuhen
spucken wir den Namen unserer Stadt auf die Straße
weil sie uns mit den Jahren immer fremder wird
hinter all dem verdrecktem Glas und dem grauen Beton

Bis in den Morgen sind die Menschen wie Hunde,
verbeißen sich ineinander und verteidigen ihre Höfe
Manchmal gibt es Schläge und Schlaflosigkeit
dann schmeckt die Nacht nach Erbrochenem

Überall stinkt es nach Schauplatzeuphorie
auch wenn um uns nichts besonderes passiert
Ich sage, ich fühle mich wie ein Mörder
und fürchte wir verschwenden unsere Zeit

Aus weiter Ferne ertönt großes Geheul
Autounfallschönheiten ziehen an uns vorbei
Du sagst jeder hat sein eigenes Tempo
und zündest dir eine Zigarette an

Filmreif






Da stehen wir Hiergebliebenen,
filmreif,
auf den leeren Kreuzungen
dieser toten Stadt.
Wie damals,
als wir in den Rückspiegeln der Freunde klein wurden.

Da stehen wir,
filmreif,
im Gegenwind,
und lächeln verloren
zu den flackernden Ampellichtern,
die sich im Wasser der Schlaglochseen spiegeln,
zu den Lichtern,
die selbst in der Nacht nicht mehr hell genug sind.

Da stehen wir,
filmreif,
in festverschnürt löchrigen Kinderschuhen,
die Hände kalt und wund vom Alltag,
wie früher von „über’n Zaun“.
Blut an den Händen
und Dreck in den Wunden.

Da stehen wir Zurückgebliebenen,
filmreif,
in dieser Stadt,
die sich nie wirklich verändert hat.
In der im Sommer der Teer,
wie damals,
von den schwarzen Garagendächern in unsere Nasen kriecht.
In der im Winter noch immer der Rauch der alten Stahlwerkstürme
aus den Schornsteinen der Kohleöfen zu quellen scheint,
um die Stadt zu ersticken.

Sie sieht krank aus,
rastlos, ratlos,
die Farben blass und matt,
so weit entfernt von „Früher“ und von Super8.
Selbst das nacht-orange-Blinken der wippenden Ampeln
über den leeren Kreuzungen
kann die Stille nicht erträglich machen.

Da stehen wir also,
filmreif,
unter den ewig summenden Stromleitungen,
die aus der Stadt führen,
aber können ihnen nicht folgen
in unseren längst zu kleinen Schuhen.
Wir leben in den Altlasten unserer Kindheit,
in den Kulissen einer Vergangenheit die nie gedreht wurde.
und über uns kreisen die Möwen wie Geier
und unter uns bricht das Eis,
und die Gegenwart bleibt weiter verwaist,
weil sie den bleiernen Erinnerungen nicht standhalten kann.

Und wir stehen noch immer,
filmreif,
wie damals, als ihr gegangen seid
und wir in euren Rückspiegeln klein wurden.
Denn wir haben den Absprung lange verpasst,
aus der Stadt
in der sonst niemand vergisst in den Zug zu steigen.

Also stehen wir Hiergebliebenen,
im Abspann kaum lesbar,
denn am Ende sind wir nur die Statisten
im Leben der wahren Protagonisten.



(2011)